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Das Parfum und der Zeck

Vierzig Jahre alt in 2025, und immer noch betörend: “Das Parfum” von Patrick Süskind bleibt eines der eindrucksvollsten Bücher der deutschen Literatur.

Das Parfum und der Zeck

„Das Parfum“ von Patrick Süskind war für mich wieder so eine Entdeckung aus meinem Buchklub, genauso wie vor fast 2 Jahren „Meine geniale Freundin“. Beide haben mich völlig eingesogen, aber auf ganz unterschiedliche Weise. Während Ferrante in das Innere ihrer Figuren blickt, und über eine nahe historische Zeit erzählt, greift Süskind viel tiefer in die Zeit.

Seine Geschichte erzählt von Jean-Baptiste Grenouille, eine „geniale und abscheuliche Gestalt“ des 18. Jahrhunderts Frankreich. 40 Jahre nach dem Erscheinen braucht man keine große Motivation mehr, um das Buch zu lessen. Es ist längst ein moderner Klassiker der deutschen Literatur geworden. Die neun Jahre auf der Spiegel-Bestsellerliste sprechen ja für sich. Doch der wahre Sog des Buches liegt nicht in seiner Handlung. Wir wissen von Anfang an, wer der Mörder ist. Es ist der Ton, die Sprache, die alles trägt: reich, üppig, fast greifbar. Süskind schreibt, als könnte man Geruch anfassen. Und vielleicht erzählt das Buch – bei aller Fremdheit – etwas Verborgenes, aber vor allem Wahres, über unsere eigene Menschlichkeit.

„Das Parfum“ von patrick süskind – worum geht’s

“Das Parfum” erzählt das Leben und die Taten von Jean-Baptiste Grenouille, Parfümeur und Mörder, der im Frankreich des 18. Jahrhunderts gelebt hat. Angeblich. Die Geschichte wirkt so überzeugend echt, dass man sie fast für ein Stück Historie halten könnte. Grenouille wird am 17. Juli 1738 in Paris geboren, „zwischen der Rue aux Fers und der Rue de la Ferronerie“. Auf dem Viktualienmarkt, aber wo man früher Abfälle und Kadaver ablegte. Ein Ort des Todes, der das Neugeborene von Anfang an zu markieren scheint. Doch selbst dem Tod ist dieses Kind zu widerspenstig, denn es will leben. In dieser stinkende, grausame Welt wächst Grenouille ohne Liebe und Nähe auf, doch mit einer Gabe, die ihn von allen unterscheidet: er kann alles riechen. Übermenschlich genau. Düfte sind seine Sprache, und seine Augen.

Nach Jahren im Waisenhaus arbeitet er in einer Gerberei, später bei Baldini, einem alten Parfümeur, dessen Ruhm Grenouille durch sein Talent neu entfacht. Doch das ist nicht wonach er sehnt. Er will die Essenz der Liebe und Leben selbst einfangen – die Düfte, die man nicht konservieren kann: Stein, Wasser, Mensch. Schließlich führt ihn sein Weg nach Grasse, wo er an seinem Meisterwerk arbeitet – einem Parfum, das ihn über alle Grenzen von Moral und Menschlichkeit hinausträgt.

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der Erzähler und seine Erzählung

In den Gassen seitab der Rue Saint-Denis und der Rue Saint-Martin lebten die Menschen so dicht beieinander, drängte sich Haus so eng am Haus, fünf, sechs Stockwerke hoch, dass man den Himmel nicht sah und die Luft unten am Boden wie in feuchten Kanälen stand und vor Gerüchen starrte.

Als wir im Buchclub über “Das Parfum” von Patrick Süskind gesprochen haben, begannen wir mit den einfachsten Fragen: Was hat uns an dem Buch angezogen? Was hat uns gefesselt? Schon nach kurzer Zeit war klar – uns allen hatte es gefallen, aber aus unterschiedlichen Gründen. Doch an einem Punkt waren wir uns einig: Es war die reiche Sprache und die Erzählungsweise, die uns nicht losgelassen hat.

Patrick Süskind schreibt mit einer Kunst, die heute leicht in Vergessenheit gerät: dem wirklichen Erzählen. Er führt uns durch das Frankreich des 18. Jahrhunderts mit einer Stimme, die alles über ihre Figuren weiß. Sie kennt den wahren Grund für Baldinis bröckelnden Ruhm, die Vergangenheit und Träume von Grenouilles Mutter, und sogar das, wonach Grenouille selbst sich sehnt. Doch das Beste dabei ist dass der Erzähler diese Kenntnisse hat weiß die Charactere selbst ihr Dasein auf ihre eigene weise verstehen. Als ob Baldini, die Mutter usw nicht erfunden wären. Dieses Wissen, und die Art, wie der Erzähler es teilt, lässt selbst flüchtige Gestalten – die Mutter, die Amme – lebendig wirken. Sie haben Gedanken, Leben, eine Körperlichkeit, die nur aus Sprache besteht. Süskinds Erzählweise schenkt ihnen Gewicht, als hätte jedes Wort eine Substanz, aus der Grenouilles Welt entsteht. So hat die erzählerische Sprache eine verführende Wirkung, die der Geschichte eine Form verleiht.

der Zeck jean-baptiste grenouille

Ein minimales Quantum an Nahrung und Kleidung brauchte er für seinen Körper. Für seine Seele brauchte er nichts. Geborgenheit, Zuwendung, Zärtlichkeit, Liebe – oder wie die ganzen Dinge hießen, deren ein Kind angeblich bedurfte – waren dem Kinde Grenouille völlig entbehrlich […] Er war von Beginn an ein Scheusal. Er entschied sich für das Leben aus reinem Trotz und aus reiner Boshaftigkeit.

Der Erzähler kennt das tiefe Innere seiner Figuren, doch er wahrt dabei eine gewisse ironische Distanz. Grenouille nimmt darin einen besonderen Platz ein. Er wird mit einer Mischung aus Spott, Abscheu und scharfer Beobachtung beschrieben, und niemals mit Mitleid. Der Erzähler lockert den Blick auf ihn nie, und betrachtet ihn wie ein seltsames Experiment, das man gleichzeitig verstehen und verurteilen will.

Grenouille ist „der kleine hässliche Zeck“ mit einer „Begabung vielleicht der eines musikalischen Wunderkinder vergleichbar“. Er hat die große Gabe des Geruchs, doch ist ein Mensch ohne Liebe, ohne Bindung, ohne Verständis sogar für das Leben der anderer. Alles, was ihn antreibt, ist der Wille, Gerüche zu besitzen, zu beherrschen, einzufangen, zu kontrollieren. Diese Gier ist betaubend, sie kennt keine moralische Grenze. Er tötet aus reiner Begierde nach dem, was andere ausstrahlen. Und seine Opfer sind junge Mädchen derer Duft für ihn die “reine Schönheit” ist.

Die klassische Diogenes Ausgabe hat auf dem Cover eine zarte schlafende junge Frau, deren Schönheit sofort den Blick fängt. Das ist ein Gemalde aus 1715 von Antoine Watteau, “Nymphe et Satire ou Joupiter et Antiope”. Für mich, steht dieses Bild als Gegensatz zu der Geschichte selbst.  In einer grausamen Geschichte, über ein Mörder der nach Schönheit sucht indem er die lebende Schönheit zerstört, liegt die wahre Wert des Leben in dem, was vergänglich ist.

Diana Avatar

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