Hermann Hesse hat 1946 den Nobel für Literatur erhalten und somit ist er für mich automatisch auf der Liste der Autoren und Autorinnen gelandet, die ich einfach lesen *muss*. Ohne wenn und aber. Dieses Jahr habe ich mich an die Arbeit gemacht und mit “Siddhartha” begonnen, der Geschichte eines jungen buddhistischen Monches, der auf seinem spirituellen Weg wertvolle Erfahrungen sammelt und schließlich die Erleuchtung erreicht. Über “Der Steppenwolf” wusste ich kaum etwas und ließ mich überraschen – und überrascht wurde ich. Denn obwohl ich das Buch als Meisterwerk erkannt habe, sind mir auch die tiefen Brüche aufgefallen, die es zu einem Werk machen, das nicht für jedermann – oder, besser gesagt, jedefrau – gleichermaßen empfehlenswert ist.
“Der Steppenwolf” erforscht die Dualität der Existenz – den Kampf zwischen dem zivilisierten vernunftgesteuerten Teil des Individuums und den wilden, instinktiven Kräften, die sich der gesellschaftlichen Ordnung entziehen. Der Protagonist, Harry Haller, fühlt sich weder in der bürgerlichen Welt zuhause, noch in der Welt der reinen Instinkte. Haller ist auf der Suche nach Sinn und Erfüllung, doch diese Reise führt ihn durch einen spirituellen Albtraum, der in einer mystischen Mischung aus Traum und Realität gipfelt. Hesses Roman ist allerdings eine sehr individuelle Lebensgeschichte. Ich weiß nicht, ob ich hier über den “modernen Mensch” oder “entfremdeten Mensch” sprechen kann. Höchstens über den “modernen Mann”. Denn Hesses Werk ist sehr stark von dem Männlichen geprägt und das Weibliche ist fast nur eine Stütze im Werdegang des Männlichen.
die Struktur
“Der Steppenwolf” ist in seiner Struktur ziemlich ungewöhnlich. Die Erste Seite trägt den Titel “Vorwort des Herausgebers” und ich hätte es fast übersprungen. Denn zunächst begegnet man Harry Haller, aus der Perspektive eines Außenstehenden, des “Herausgebers” von Hallers Aufzeichnungen. Der Erzähler beschreibt Harry als eine merkwürdige, isolierte Gestalt, einen intellektuellen Einzelgänger: “ein fremdes, wildes und auch scheues, sogar sehr scheues Wesen aus einer anderen Welt als der meinigen”. Diese Distanz, die durch die externe Sichtweise aufgebaut wird, lässt die Leserin erstmal nur an der Oberfläche von Hallers Wesen kratzen. Dieser Teil hat mir am meisten gefallen, denn ich war sehr interessiert an dieser mysteriösen Gestalt.
Mit dem Wechsel zum “Tractat vom Steppenwolf”, einer scheinbar mystischen Schrift, die Harry in die Hände fällt, verändert sich die Struktur des Buches grundlegend. Das Tractat analysiert die Persönlichkeit des Steppenwolfs, also Harry selbst, und führt tiefer in seine innere Zerrissenheit und seine duale Natur ein. Dieser Teil liest sich aber fast wie eine Satire, da es Harrys eigene Selbstwahrnehmung präzise aufgreift, aber gleichzeitig seine blinden Flecken und die Illusionen seines Selbstvertrauens enthüllt.
Schließlich folgen Hallers eigene Aufzeichnungen, die einen noch direkteren Zugang zu seinen Gedanken und Empfindungen bieten. Dieser Teil des Buches wirkt wie eine erweiterte und realistischere Version von “Siddhartha”. Im Gegensatz zu Siddhartha, der nach innen kehrt, ist “Der Steppenwolf” ein Versuch, aus sich selbst herauszutreten und sich in einer verwirrenden und widersprüchlichen äußeren Welt zurechtzufinden.
hermine und maria
In “Der Steppenwolf” spielen die weiblichen Figuren Hermine und Maria eine zentrale Rolle. Sie unterstützen und beeinflussen Haller auf seiner inneren Reise. Hermine ist eine geheimnisvolle Figur und tritt als Vermittlerin zwischen Haller und der Welt der Sinnlichkeit, des Vergnügens und der Lebensfreude auf. Harry trifft sie in einer Bar, wo sie sofort eine starke Präsenz ausstrahlt. In ihrem ersten Gespräch übernimmt sie gleich die Rolle der Mutter und weist Harry die Rolle des Kindes zu, das gehorchen muss. “Es tat ungeheuer wohl, jemand zu gehorchen, neben jemand zu sitzen, der einen ausfragte, einem befahl, einen ausschalt.” Sie nimmt Harry an die Hand und führt ihn durch das Labyrinth seiner eigenen Psyche.
Maria hingegen symbolisiert die körperliche Dimension des Weiblichen. Sie wird zu Harrys Liebhaberin und führt ihn die Welt der körperlichen Freuden ein, eine Welt, die er bisher ablehnte und ignorierte. Harry kennt Maria beim Tanzen lernen. Harry erzählt, dass sie “in ihrem hübschen Sammetröckchen, mit den kurzgeschnittenen kräftigen Blondhaaren und den vollen, fraulichen Armen entzückend aussah”. Harry lernt von ihr mit dem Leben locker umzugehen, den Augenblick zu genießen und sich von seinen starren, geistigen Kämpfe zu lösen.
Das Weibliche spielt im Buch eine Kontrastrolle. Während Harry als rationaler Intellektueller meist in seiner geistigen Welt gefangen ist, verkörpern Hermine und Maria die unbeschwerte Lust am Leben. Sie dienen als Brücke zu den emotionalen und sinnlichen Aspekten, die Harry bisher verdrängt hat. Schön und vielleicht nachvollziehbar, aber auch ein Klischee. Während Harry sich mit tiefgreifenden, spirituellen Fragen auseinandersetzt, sieht es so aus, dass Maria und Hermine die Antworten bereits kennen und besitzen die Fähigkeit, das Leben ohne die Schwere zu genießen. Das verstärkt die Vorstellung, dass das Weibliche das Instinktive und das Genussvolle verkörpert, während das Männliche sich dem Existentiellen und Geistigen widmet – eine Dichotomie, die sich insbesondere in unserer modernen Welt sehr stark hinterfragen lässt.
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