Sándor Márais 1942 erschienener Roman “Die Glut” habe ich nicht unbedingt aktiv gesucht, doch zu einem sehr günstigen Preis durch Zufall gefunden. Sage ich doch immer, das Schicksal. Und es ist auch Schicksal, dass ich das Buch gerade jetzt gelesen habe, denn ansonsten wäre Henriks lange Monolog, der die Hälfte des Buches ausmacht, nicht bei mir angekommen. Auf dem ersten Blick ist der Monolog eine Suche nach der Wahrheit über das, was vor 41 Jahre passiert ist, doch darunter verbergen sich die zerkrümelten Geschichten eines ganzen Kontinents und Fragen, die vielleicht den Autoren selbst beschäftigt haben. Wie Henrik, der sich aus der Welt zurückzieht, war auch der ungarische Autor ein Fremder in seinem Heimatland. 1948 verlässt Márai Ungarn, als die kommunistische Diktatur aufsteigt und bleibt bis zu seinem Tod in 1989 fern von seinem Land.
die Geschichte, kurz zusammengefasst
Der General blickte zur Decke und rechnete. 14er August. 2er Juli. Er rechnete aus, wieviel Zeit seit einem langverflossenen Tag und dem heutigen vergangen war. 41 Jahre, sagte er schließlich halblaut. In letzter Zeit sprach er laut, auch wenn er allein im Zimmer war. 40 Jahre, sagte er dann verwirrt.
“Die Glut” ist ein dramatischer Roman der großen Gefühle, der großen Enttäuschung und der großen Liebe. 1940 sitzt Henrik, der 75-jähriger General, in seinem opulenten Schloss umgeben von Luxus und Dienern und denkt über die Ereignisse von 1899 nach. Henriks Gedanken werden durch den bevorstehenden Besuch von Konrád angeregt, der einen Brief geschickt hat, dass er zum Abendessen kommen würde. Die beiden Freunde hatten sich seit 41 Jahren nicht mehr gesehen, doch vorher waren sie unzertrennlich. Sie lernten sich in der Militärschule kennen, wurden Soldaten und lebten in Wien. Konrád stellte Henrik Krisztina vor, und die beiden heirateten. Als Konrád 1899 plötzlich verschwand, blieb Henrik mit der quälenden Frage zurück: ist Leben die Sehnsucht nach den Toten?
Während Henrik auf der Oberfläche nach der Wahrheit über einen mutmaßlichen Verrat sucht, der ihre Freundschaft zerstört hat, geht sein Monolog, das Herz des Buches, tief in die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen und die Auswirkungen von Zeit und Erinnerung. Im Hintergrund erscheint auch die politische und soziale Landschaft Europas während des Endes des 19ten Jahrhunderts und die Veränderungen, die die Jahre danach mit sich brachten.
henrik und konrád, wer ist wer?
Ihre Freundschaft war so ernst und so wortlos wie alle großen Gefühle, die für ein Leben gelten. Und wie alle großen Gefühle enthielt auch dieses Scham und Schuldbewusstsein. Man nimmt einen Menschen den anderen nicht ungestraft weg. Sie wussten vom ersten Augenblick an, dass sie diese Begegnung für das ganze Leben verpflichtete.
Henrik und Konrád sind die Überlebenden in der Geschichte. Kristina ist gestorben. Doch die tote Frau hat immer noch die Macht, das Leben der beiden Freude zu beeinflussen. Die beiden haben eine gemeinsame Vergangenheit und sie verbindet eine starke emotionale Bindung – sie haben sich beim ersten Blick angefreundet. Durch ihre Lebensverhältnisse ergänzen sich die zwei Männer gegenseitig. Henrik stammt aus einer wohlhabenden Familie und ist in seiner Jugend an Frauen und Glücksspiel interessiert, während Konrád aus bescheideneren Verhältnissen stammt und ist musikalisch begabt. Trotz ihrer tiefen Bindung sind ihre unterschiedlichen Hintergründe und Persönlichkeiten auch eine Quelle von Spannungen. Diese Spannungen werden auch durch Krisztina untermauert, doch ihre Rolle in der Beziehung zwischen den beiden ist nicht ganz klar, denn wir bekommen nur Henriks Teil der Geschichte erzählt.
Als Konrád 1899 verschwindet, bleibt Henrik fragend zurück. Was ist zwischen Krisztina und Konrád passiert wovon er nichts weiß? Seine Vermutungen über einen möglichen Verrat bekommen nie eine Antwort, da Krisztina nicht mehr mit ihm spricht und nach acht Jahren krank wird und stirbt. Als Überlebender versucht Henrik seine Freundschaft mit Konrád zu verstehen und wie die Liebe zu seiner toten Frau sein Leben weiterhin prägt. Geduldig wartet er darauf, dass Konrád sich entscheidet, ihn wieder zu besuchen, um von ihm die Wahrheit zu erfahren, wie er sagt. Doch das ist nicht das, was Henrik wirklich will. Wahrheit, Treue, Freundschaft, alle alten Werte, die in der alten Welt gelebt haben, als Krisztina auch gelebt hat. Alles was er jetzt noch haben kann ist die Glut der brennenden Kerzen.
eine Suche nach dem Sinn des Lebens?
Sándor Márais Roman ist etwas täuschend. Allerdings im guten Sinne des Wortes. Er beginnt mit Henriks Gegenwart im Jahr 1940 und läuft in eine Abwärtsspirale durch seine Erinnerungen, seine Fehler, seine Geschichte. Henrik hat Konrád seit 41 Jahren nicht mehr gesehen und die ganze Zeit darauf gewartet, dass Konrád zurückkommt und ihm die Wahrheit gesteht. Doch als der Moment der Wahrheit schließlich kommt, bleibt der alte General in sich verschlossen. Er hat bereits seinem Leben einen Sinn gegeben – die Liebe zu seiner längst verstorbenen Frau. Und ob er sich damit selbst getäuscht hat, wer kann es ihm verübeln ?
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